Diejenigen, die es auf den Gipfel des Jabal Abyad geschafft haben, sind sich einig, dass sich der Aufstieg gelohnt hat. Mit einer Höhe von 2.093 Metern ist die Aussicht vom "Weißen Berg", dem höchsten Vulkan Saudi-Arabiens, wahrhaft episch. Das Panorama des wildromantischen Vulkanfelds Harrat Khaybar erstreckt sich bis zum Horizont – ein Schachbrett aus schwarzen und weißen Vulkanen, die wie Inseln in einem Ozean aus uralten Lavaströmen liegen. Es ist eine Szene, die die "jüngste" geologische Vergangenheit der Arabischen Halbinsel widerspiegelt – als vor rund 20 Millionen Jahren die Kraft der Natur ihre Landschaft formte.
Der Jabal Abyad befindet sich in Khaybar, einer alten Oasenstadt, etwa drei Autostunden AlUla entfernt. Der „Weiße Berg“ trägt seinen Namen zu Recht: Seine sanften Alabasterhänge lassen ihn wie einen schneebedeckten Gipfel inmitten der Wüste erscheinen. Die ungewöhnliche Färbung stammt von einer jahrhundertealten Schicht aus kieselsäurehaltiger Vulkanasche, der so genannten Komende. Er steht in krassem Kontrast zu den steilen schwarzen Basalthängen des benachbarten Jabal Qidr, einem Stratovulkan wie er im Buche steht, der sich über Generationen hinweg aus dunklen, flüssigen Lavaströmen gebildet hat. Zu ihren Füßen liegen die weiten Lavafelder mit ihren Vulkanschloten, Kuppeln, Schlackenkegeln und Aschenvulkane, die eine gespenstisch schöne, "jenseitige" Mondlandschaft bilden.
Das Vorkommen von Aschenvulkanen gibt einen wichtigen Hinweis auf die sich ständig verändernde Beschaffenheit des Wüstenlandes: Es stand einst unter Wasser. Aschenvulkane entstehen, wenn aufsteigendes Magma auf Wasser trifft. Dieses verwandelt sich explosionsartig in Dampf und erzeugt feine Aschewolken, die sich zu einem markanten, steil abfallenden Kegel zusammenfügen. Während AlUla also heute für seine Trockenheit bekannt ist, waren seine Ursprünge vollkommen anders.
Der wunderschöne hellrote Sandstein, der die spektakuläre Kulisse von AlUla prägt, entstand vor 500 Millionen Jahren, als das Land noch leblos war. Und zu einer Zeit, in der AlUla noch nicht dort war, wo es heute ist. Die Plattentektonik, diese sich ständig bewegenden Teile der Erdkruste, verschob die Kontinente erst nach und nach in ihre heutige Position. Und sie bewegen sich noch immer – etwa so schnell, wie deine Fingernägel wachsen. Vor einer halben Milliarde Jahren sah unser Planet also noch ganz anders aus. AlUla lag Tausende von Kilometern weiter westlich. Es gab keine Berge, keine Täler, keine Sandsteinfelsen. Diese Dinge sollten alle erst noch kommen.
AlUla lag am Rande eines Superkontinents, der Gondwana genannt wurde. Ohne Wälder, Gräser und Böden war die Erosion auf diesem riesigen Land ungebremst und führte zu unvorstellbaren Mengen an Sedimenten, die durch Regenfälle und Flüsse ins Meer gespült wurden. In dieser Zeit entstanden die Sandsteine. Gewaltige verzweigte Flüsse mit einer Breite von über 100 Kilometern wälzten und wälzten Sedimente, die sich absetzten und verschüttet wurden. Meere zogen ein und aus und hinterließen ihre Spuren in den Felsen, die wir heute sehen. All diese Sedimente, tausende Tonnen Sand, wurden vergraben und dabei zerkleinert und erhitzt. So wurde das Wasser aus ihnen herausgepresst und das Material zu Sandstein gebrannt. Hier lag es verborgen, während sich die Plattentektonik weiter bewegte und die Welt darüber weiterging. Die Dinosaurier kamen und gingen. Säugetiere verbreiteten sich über die ganze Welt. Und irgendwann, vor etwa 40 Millionen Jahren, als sich das Rote Meer zu öffnen begann, wurde diese verborgene Landschaft nach oben geschoben. Es bildete sich ein riesiges Sandsteinplateau. Wind und Regen haben durch Erosion nach und nach die Landschaft geschaffen, die wir heute sehen.
Eingeschlossen im Sandstein finden wir immer wieder Zeichen dieser fernen Vergangenheit, Zeichen einer fernen Welt. Und manchmal sogar Anzeichen dafür, dass hier vor langer Zeit Leben war. Eine verschlungene Spur zickzackförmiger Rillen deutet auf das früheste Leben der Erde hin. Es sind die Spuren von Trilobiten, ausgestorbene Meerestieren, die vor mehr als 485 Millionen Jahren zu den ersten "Bewohnern" von AlUla gehörten. Ihre rätselhaften Spuren sind alles, was von dieser längst vergangenen Welt übriggeblieben ist. Fossilien wurden noch nicht gefunden – aber die Geologen suchen weiter.
Unterstützt werden sie bei ihrer Suche durch das unerbittliche Wirken der Elemente. Denn Sonne, Wind und Wasser formen den Sandstein immer wieder neu und lassen so einige der eindrucksvollsten Felsformationen der Welt entstehen. Sie faszinieren Wanderer, Familien und Besucher jeden Alters. „Fish Rock“, „Face Rock“, „Mushroom Rock“ und viele weitere machen ihren Namen alle Ehre. Vor allem die „Dancing Rocks“, zwei Sandsteintürme, die sich miteinander im Einklang zu wiegen scheinen, haben etwas sehr Lebendiges an sich.
Der wohl berühmteste von allen ist jedoch der Jabal AlFil – der Elefantenfelsen. Er ragt 50 Meter hoch in den Himmel und lässt keine Frage, was er darstellt. Das Bild ist so klar, dass man fast meinen könnte, eine frühere Zivilisation hätte den Felsen bewusst nach dem Abbild eines Elefanten gemeißelt. Tatsächlich haben die Völker von AlUla bewiesen, dass sie zu solch beeindruckenden Kunstwerken mehr als fähig sind. Aber in diesem Fall ist der einzige Künstler, der hier am Werk war, die Natur höchstpersönlich. Und im Laufe der Zeit, in der die Elemente die Landschaft stets neu formen, so entwickelt sich auch AlUla immer weiter. Von den wilden Vulkanfeldern bis hin zu den spektakulären Sandsteinklippen – AlUla ist eine Geschichte, die weiter in die Felsen geschrieben wird.