Es hat etwas Magisches an sich, den Buchstabenreihen zu folgen, die in die Felsen von Jabal Ikmah gemeißelt sind. Sie stellen eine spürbare Verbindung zu einer Person her, die vor 2.500 Jahren an genau dieser Stelle gestanden und ihre Gedanken niedergeschrieben hat: eine Bitte um Glück oder reichlich Frühlingsregen. Dass die Worte so gut erhalten sind, macht sie umso eindringlicher. Ihre Botschaften wirken so noch über Jahrtausende hinweg nach.
Jabal Ikmah ist zweifellos eine der bedeutendsten Quellen des frühen geschriebenen Arabisch – einer Sprache, die heute von mehr als 300 Millionen Menschen weltweit gesprochen wird. Aufgrund der historischen und kulturellen Bedeutung seiner Hunderten von Inschriften wurde Jabal Ikmah zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt – als einmaliger Einblick in das frühe Arabien und die Entwicklung seiner Sprache.
Arabisch wurde lange vor seiner Verschriftlichung gesprochen und hatte seinen Ursprung auf der nordwestlichen Arabischen Halbinsel. Von dort aus verbreitete und entwickelte es sich über Jahrtausende hinweg. Die verschiedenen arabischen Stämme schufen eine Vielfalt an Dialekten, die heute auf der ganzen Welt verteilt sind und von denen viele untereinander fast nicht verständlich sind. Das geschriebene Arabisch hingegen ist viel einheitlicher: Klassisches und modernes Hocharabisch unterscheiden sich nur geringfügig und beide Formen werden überall verwendet.
Jabal Ikmah liegt an einem Knotenpunkt der Zivilisationen, ein Ort der Ruhe und Erholung, an dem Ideen und Kulturen zwischen Stämmen und Besuchern aus aller Welt ausgetauscht wurden. Er ist ein Beweis für die Bedeutung AlUlas für die Entwicklung der geschriebenen Sprache.
Die Dichte der Inschriften in Jabal Ikmah ist erstaunlich. Ganze Felswände sind mit Schriftzügen bedeckt, die teilweise sogar ineinander übergehen. Die vorwiegend aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. stammenden Gravuren umfassen Sprachen wie Aramäisch, Safaitisch, Minäisch und Nabatäisch. Sie alle haben die Entwicklung des Arabischen maßgeblich beeinflusst. Am gebräuchlichsten war jedoch Dadanitisch, die Sprache der dadanitischen und lihyanitischen Königreiche, die zu dieser Zeit die Region beherrschten. Es wurde sowohl für formelle Inschriften als auch für einfache Zeichnungen verwendet und erzählt von längst vergessenen Ereignissen. Wir werden wohl nie erfahren, wer „Blnsthe der Reiter“ war oder was ihn dazu veranlasste, seinen Namen in die Felswand zu kerben.
Obwohl Dadanitisch einige Ähnlichkeiten mit Arabisch aufweist, unterscheidet es sich darin, dass in geschriebenen Wörtern keine Vokale dargestellt werden. Faszinierend ist besonders auch die Weiterentwicklung einiger Buchstaben. Unter den „standardisierten“ Buchstaben, die einheitlich in den Fels gehauen sind, finden wir einige, die an einen informelleren, flüssigeren Schriftstil erinnern. Diese Praxis wird eigentlich zur Vereinfachung und Beschleunigung beim Schreiben mit Tinte angewendet. Diese Entdeckung legt die Hoffnung nahe, irgendwann auch papierbasierte Schriften aus dieser Zeit zu finden.
Jenseits der Felswände von Jabal Ikmah lässt sich AlUlas starke Verbindung zur arabischen Literatur und Poesie bis ins siebte Jahrhundert zurückverfolgen. Die bedeutendste dieser Überlieferungen ist wohl die poetische Geschichte der unerwiderten Liebe zwischen Jamil und Buthainah. Diese Legende der Oase wird heute in Form einer interaktiven Theateraufführung als Teil der kulturellen Renaissance von AlUla zum Leben erweckt.
Heute sind die Sprachen in AlUla vielfältiger denn je: Viele Einheimischen lassen sich am örtlichen Sprachinstitut ausbilden, um die Geschichte der arabischen Sprache auf Englisch, Spanisch, Chinesisch und weiteren Sprachen erzählen zu können. So wird der gegenseitige Erfahrungsaustausch zwischen denen, die AlUla ihr Zuhause nennen, und Besuchern aus der ganzen Welt ermöglicht.