Ein Leopard lauert zwischen den Wüstenfelsen, den Kopf konzentriert uns zugewandt, den Körper zum Angriff bereit. Ein atemberaubender Anblick, der sich seit Tausenden von Jahren nicht verändert hat: Denn dieser Leopard ist eine Felszeichnung, eine von Hunderten aus dem neolithischen Zeitalter, die uns einen fesselnden Einblick in das prähistorische AlUla geben.
Es ist die Vorstellung eines grüneren Landes, reich an Tieren, die einst diese savannenähnlichen Ebenen durchstreiften: Steinböcke, Gazellen, Strauße und der legendäre Arabische Leopard. Die Wildkatze wurde in AlUla seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen und gilt inzwischen als vorm Aussterben bedroht. Nun aber kehrt der Arabische Leopard nach AlUla zurück, denn mit der umfassenden Wiederbegrünung der Region, wird der natürliche Lebensraum vieler Tierarten wiederhergestellt.
Nicht, dass die Wüstenlandschaft von AlUla derzeit ohne Leben wäre – ganz im Gegenteil. Die endlosen Dünen, roten Felsschluchten und hoch aufragenden Sandsteinklippen bilden nicht nur ein beeindruckendes Panorama, sondern beheimaten außerdem mehr als 500 Tier- und 2.000 Pflanzenarten. Wenn die Bedingungen stimmen, blüht die Wüste auf und nährt eine außergewöhnliche Artenvielfalt in ihrer vermeintlich kargen Landschaft.
Das grünste Gebiet ist natürlich das Oasental, in dem Wasser und 7.000 Jahre menschlicher Einsatz eine phänomenale Landwirtschaft hervorgebracht haben. Mehr als zwei Millionen Dattelpalmen bilden ein majestätisches grünes Blätterdach, unter dem Tausende von Zitrusbäumen, Oliven, Feigen, Mangos, Granatäpfel und Bananen gedeihen - ein Stufensystem, das von der Natur selbst geschaffen wurde. Hier, inmitten der Wüste, produzieren die Farmen von AlUla jedes Jahr erstaunliche 90.000 Tonnen Datteln.
Aber auch abseits der bewässerten Felder blüht das Leben. Auf dem Weg in die offene Wüste erheben sich aus der felsigen Landschaft Büsche mit dichtem grünen Blätterkleid, und die Hügel sind übersät mit gelben Blütenköpfen. Das ist das duftende Ochsenauge, kein seltener Anblick in AlUla. Die leuchtenden Blüten nähren Tiere und Insekten, während seine aromatischen Blätter von den Einheimischen geerntet werden, um daraus einen erfrischenden Aufguss mit Pfirsichgeschmack herzustellen. Die Wüste bietet Nahrung für Mensch und Tier.
Wie schon seit Jahrtausenden grasen die Tiere auch heute in der Wüste. Es hat etwas Zeitloses, einen nubischen Steinbock dabei zu beobachten, wie er auf einem Felsvorsprung hockt. Die Zeitalter scheinen zu verschwimmen – in dieser Szene, die nahezu unverändert ist, seit neolithische Künstler ihre Bilder in die Felswände ritzten. Aus dieser tiefen Verbundenheit mit der Vergangenheit erwächst die Leidenschaft, sie zu bewahren. Damit einher geht das Engagement AlUlas für die Wiederherstellung des ausgewogenen und artenreichen Ökosystems, das hier eins gedeihte.
Das Konzept des Rewilding ist ein heikler Prozess, bei dem einige Arten entfernt und andere wieder angesiedelt werden. Mehr als 1500 Gazellen, Antilopen und Steinböcke wurden bereits in den sechs großen Naturschutzgebieten freigelassen, die mittlerweile mehr als die Hälfte der Fläche AlUlas ausmachen. Die Wissenschaft dahinter ist kompliziert, aber die Ergebnisse sind sichtbar, und nirgendwo werden sie mehr geschätzt als im Herzen vom Sharaan-Naturreservat.
Die 1.500 Quadratkilometer große Fläche von Sharaan wurde einst durch Überweidung zerstört, doch heute erobern hunderttausende von Setzlingen die Wüste zurück. Robuste Akazienbäume spenden Schatten für kleinere Pflanzen, darunter allein sieben verschiedene Grasarten, und festigen den Boden, so dass Wildpflanzen wieder natürlich gedeihen können. Auch der einheimische Moringa-Baum, der mit seinen zahlreichen medizinischen, kulinarischen und kosmetischen Eigenschaften als Wunderpflanze gilt, wird in großem Stil wieder angepflanzt. Eine örtliche Fabrik extrahiert das wertvolle Öl des Baumes, das anschließend in Schönheitsprodukten weiterverarbeitet oder von Besuchern als Souvenir mit nach Hause genommen wird.
Mit der Wiederherstellung der Flora kehren auch die Tiere zurück. Einst vom Aussterben bedrohte arabische Wölfe und großohrige Rotfüchse sind nun wieder hier anzutreffen, ebenso wie Rothalsstrauße, Kaphasen und natürlich der nubische Steinbock.
Was noch fehlt, ist der arabische Leopard – aber die Zuversicht ist groß. Im Rahmen eines erfolgreichen Zuchtprogramms wurden im Jahr 2022 drei Jungtiere geboren und im Jahr 2023 sieben weitere. Die Hoffnung ist, dass Leoparden und Landschaft bis 2030 füreinander bereit sind und wir diese elegante Großkatze bald wieder in der Wildnis von AlUla erleben dürfen.